21st Century Man vom 01.05.2017 / → Teil 2
Eigentlich wollte ich ja etwas über Herrn Erdogan schreiben, aber was soll man denn nach solch einem desaströsen Ergebnis dieses sogenannten Referendums noch sagen. Ich meine, sind wir doch mal ehrlich, bei der Proformabefragung für seine Pläne eines de facto ohnehin schon bestehenden Präsidialregimes, nachdem der Mann mit dem verkappten Schneuzer jahrelang seinen Untertanen, Pardon, StaatsbürgerInnen mit Zensur, Massenverhaftungen, Ausnahmezustand, Kunstschändung und anderen üblen Methoden eingebläut hat, wo der Hammer hängt, oder vielmehr, wo Gott wohnt, gerade mal schlappe 51,41 Prozent Zustimmung einzuheimsen ist doch eines Despoten unwürdig. Und das dann auch noch mit getürkten, sorry, geschobenen Doppelstaatsbürgerschaften und ungestempelten Wahlkuverts zu unterfüttern, also bitte. Da heißt’s doch normalerweise ins Winkerl stellen und schämen, oder? Aber au contraire! Da haben die doch tatsächlich vorgestern in der Türkei den Zugang zur Wikipedia gesperrt. Und sonst geht’s euch eh gut? Ja, ja, liebe EU, tut’s ruhig weiter unter der Schirmherrinnenschaft von der Mutti traumatisierte Kriegsflüchtlinge verschachern.
Apropos Menschenhandel, um endlich auf das eigentliche Thema des heutigen 21st Century Man zu kommen, da ist mir doch kurz nach Ostern ein seltsames Elektrobriefchen in die Mailbox geflattert. Ich bin da in so einer Mailing-Liste von einer Initiative, die nennt sich #aufstehn und sieht sich selbst als eine ‚neue Form der zivilgesellschaftlichen Kampagnenorganisation‘. Bei denen fehlt ein ‚e‘ im Namen, who cares, das ist halt modern jetzt – mit Hashtag vorne dran und so. Bekannt geworden sind die vor allem mit einer Petition ‚gegen Hass im Netz‘, wo es unter anderem darum geht, dass Journalistinnen sexualisierter Gewalt in Form von Drohungen ausgesetzt sind. Die haben inzwischen schon einige Petitionen laufen und das Praktische daran ist, dass man diese bequem online unterzeichnen kann. Das boomt halt seit einiger Zeit schon sehr mit den Online-Petitionen, da könnte man/frau/kind auf die Idee kommen, dass das schön langsam inflationär wird und herzlich wenig bewirkt. Ich mag das aber trotzdem und ab und zu gibt’s dann eine nette Belohnung wie zum Beispiel eine Torte für Herrn Junker, die ihm, wenn ich mich nicht irre, anlässlich der zweimillionsten Stimme gegen das sogenannte Freihandelsabkommen TTIP feierlich überreicht wurde (in diesem Fall war das von der Initiative STOP TTIP).
In der besagten Mail von #aufstehn ging es jedenfalls kurz gesagt um dreierlei: die österliche Online-Werbung des Textilkonzerns Palmers auf Facebook, die Kritik der Journalistin Corinna Milborn daran und die Reaktion des Extremsportlers Felix Baumgartner auf diese kritische Äußerung in Form eines unflätigen Postings. Ich muss gestehen, meine erste Reaktion war eher genervt. Ich dachte mir, das ist doch irgendwie eine Nummer zu klein für euch, liebes Team von #aufstehn, is‘ euch leicht fad? Bei näherer Betrachtung hat mir das dann aber doch keine Ruhe gelassen, da mag man/frau mir durchaus sexistische Beweggründe unterstellen – was weibliche Reize anbelangt, bin ich wahrscheinlich genauso deppert wie jeder andere Hetero-Mann, naja, vielleicht nicht gar so schlimm, oder schlimmer… egal, ich finde die ganze Geschichte jedenfalls nicht nur nicht unamüsant sondern auch ziemlich surreal, um mal wieder dieses bis zur Erschöpfung missbrauchte Adjektiv der Kunstgeschichte zu verwenden.
Vielleicht zunächst zum Bild: Unter dem zeitlos schönen Logo mit dem hübschen Krönchen steht als Überschrift ‚Unsere Osterhöschen‘, daneben ein kleiner Hase in Form eines Icons (vielleicht um dezent auf das Wortspiel mit dem vertauschten Umlaut hinzuweisen?), darunter ein Foto von sechs sehr schlanken jungen Frauen, die bäuchlings auf einem etwas ungewöhnlichen Orientteppich liegen und jeweils nur mit einem knappen, farbigen Damenslip bekleidet sind. Die Models liegen in der Ecke eines nachlässig renovierten Zimmers dicht an dicht und der Wand zugewandt, durch die beiden Fenster fällt ein wenig Sonnenlicht ein. Der Teppich mit biedermeierlich rustikalem Blumen- und Rankenmuster ist ein wenig zu klein geraten, so ragen im Vordergrund einige der nackten Beinpaare darüber hinaus und berühren einen abgenutzten Steinfußboden. Hinter den sechs Modellen ist der Boden mit Moos bedeckt, das in der Ecke zu einem kleinen Haufen aufgeschichtet ist. Auf dem Fensterbrett finden wir zwei leere Kerzenleuchter und ein Häufchen Blütenblätter. Rechts begrenzt ein kahler Ast das Bild.
Zwei Dinge haben mich sofort angesprungen, ich könnte nicht sagen was zuerst. Der eine Gedanke war: Das soll ein Palmers-Sujet sein? Das sieht doch irgendwie trashy aus und gar nicht classy, wie man/frau/kind das von anderen Werbemitteln dieser Modekette kennt. Der andere war sehr naheliegend für einen gelernten Österreicher, der Anteil an der kollektiven Erinnerung dieses Landes hat und nicht zu jung dafür ist: Die haben doch einfach billig dieses Palmers-Plakat für Strümpfe aus den Neunzigerjahren nachgebastelt. Aber dazu später.
Zu den Reaktionen: Laut Artikel im Standard hat Frau Milborn sich sinngemäß dann insofern kritisch dazu geäußert, dass sie sich durch die Ästhetik des Bildchens an Aufnahmen erinnert fühlte, die von Menschenhändlern angefertigt würden, um ihre Ware feilzubieten. Solche Fotos sind Frau M. durch ihre journalistische Arbeit bekannt (den meisten von uns wohl eher nicht). Dieser Gedanke kam mir anfangs recht abwegig vor und auch etwas weit hergeholt, doch klingt das für mich immer einleuchtender, je länger ich darüber grüble. Genauso gut könnte das natürlich auch ganz harmlos gemeint sein oder, was auch häufig vorkommt bei der kreativen Arbeit, es rutscht jemandem unbewusst etwas rein (oder raus), weil es gerade schnell gehen muss. Schwer zu sagen, ich war überdies auch einfach zu stark abgelenkt von der anderen Kerbe, in die die Kritik an der Unterwäsche-Ad schlug und zu der es eine Menge Postings gab, nämlich dass die Mädchen abgemagert seien oder ausgehungert. Das ist blanker Unsinn. Tut mir leid, aber die sind – ganz banal und schlicht und ergreifend – einfach nur dünn. Dünne Mädels. Das gibt es. Das darf nicht sein oder was? Mir fällt da schon eher ins Auge, dass die alle gleich dünn sind. Das sind wohl die gleichsten gleich dünnen Teenager, die ich je gesehen habe. Die sehen aus wie geklont und mir kommt in solchen Fällen dann immer eine Fernsehproduktion in den Sinn, bei der ich endlos lästern könnte und die ich hingebungsvoll verachte. Na Sie wissen schon, die mit der Heidi, das Sadomaso-Dschungelcamp für notorische Heulsusen, die mit teutonischer Härte zu vermeintlichen Supermodels gestählt werden. Da könnte man mal so richtig schön böse sein. Gut, dass das bereits Stefanie Sargnagel in ihrem wunderbaren Roman Fitness erledigt hat, sehr effizient und unmöglich zu toppen, aber zurück zu den Höschen und zum Posting von Herrn Baumgartner.
Der meinte, nachdem er eine abfällige Bemerkung über Frau Milborns Figur gemacht hatte, unter anderem: „Ich finde die Mädels weltklasse und springe da gerne mal dazwischen rein, auch ohne Fallschirm.“, nebst Dank an den Dessous-Hersteller und Grüßen aus Los Angeles (zu seiner Post gibt es inzwischen teilweise auch recht amüsante Kommentare von Blogger|inne|n). Nun ja, zum ersten Teil seines Postings, was soll man/frau dazu schon sagen? Oida, bist wo angrennt, ham’s da ins Hirn gschissn, geht’s no? Oder etwas freundlicher könnte man/frau/kind vielleicht fragen, ob Herrn B. eventuell schon mal was von dem Ausdruck ‚No-Go‘ gehört hat (ein Scheinanglizismus zugegebenermaßen und in Trumplandia wohl derzeit blöderweise unbekannt). Der zweite Teil ist allerdings bemerkenswert. Ich dachte da zunächst an eine sexuelle Anspielung oder eine unbewusste Neigung die sich da so zwischen den Worten verbirgt… dazwischen reinspringen ohne Fallschirm… hm, vielleicht der Wunsch nach ungeschütztem Verkehr? Mal wieder sporteln wie in alten Zeiten, was? Aber das war mir dann doch irgendwie zu naheliegend und dann hat das auch noch so etwas Unbeholfenes, Kindliches mit diesem Reinspringen… springen… der ist ja von ziemlich weit oben gesprungen, ganz allein und einsam in der Stratosphäre. Das bringt mich jetzt auf einen Gedanken.
Wir haben doch alle ab und an Sehnsucht, nach irgendetwas, was auch immer das sein mag. Die kann manchmal sehr stark sein. Manche sehnen sich in die Zeit der Jugend zurück oder in die eigene Kindheit. Viele oder, wenn wir der Psychologie vertrauen, die meisten sehnen sich gelegentlich zurück in den Mutterleib. Da war es schön warm und gemütlich, das ist gar nicht so abwegig, so nett ist es ja im Moment gerade nicht auf der Welt. Ich persönlich denke, dort wollen wir doch alle immer dann hin, wenn wir mal das Kopferl in einen Schoß legen oder an eine Schulter lehnen. Das ist ja eher etwas Seltenes, und gerade unter Paaren ein wenig aus der Mode gekommen, habe ich den Eindruck. Vielleicht ist das ein Bisschen verdächtig oder gefährlich – wer will schon ein großes Kind als Partner*in haben, könnten wohl einige denken?
‚Bei Menschen‘, sagt die schlaue Wikipedia ‚die sich in Sehnsucht „verzehren“, kann diese in bestimmten Fällen krankhafte, psychopathologische Züge annehmen, so etwa wie bei verschiedenen Formen der Todessehnsucht, die bis zum Suizidwunsch reichen kann.‘ Wenn ich jetzt ein wenig weiter denke, weiter zurück, noch vor den wohligen Aufenthalt im Warmbad des Uterus, dann ergibt das plötzlich Sinn mit dem Stratosphärensprung. Das ist so wie bei der alten Woody Allen-Komödie (Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten), in der der Protagonist als vereidigte Samenzelle mit einem Fallschirm abspringt. Das macht Sinn: Der Stratosphärenspringer entsteigt seiner Kapsel und stürzt sich kopfüber ins Ungewisse und die Erde ist seine Eizelle. Wahnsinn, da inszeniert einer todesmutig als menschgewordenes Spermium seine eigene Zeugung nach und macht sich selbst sinnbildlich zum Erzeuger seiner selbst, als Medienspektakel für uns alle und mit Unterstützung eines Großkonzerns selbstverständlich. Manno! Ich fürchte beinahe, da muss ich bis zum nächsten Mal eine Skizze dazu machen, naja, mal sehen.
Ach Gottchen…
P.S.: Nachträglich herzliche Gratulation Herrn Baumgartner für seine sportliche Leistung – ernsthaft – mir ist vom Zuschauen am Bildschirm schon schwindelig geworden. Der zweite Teil folgt in Bälde, hoffentlich dann auch wieder mit Illu.
![Mag. Rozsenich (vormals Frau Márkos [vormals Monsieur O])](http://www.hedopunk.net/wp-content/uploads/2018/01/Monsieur_O-Kopie-150x150.jpg)
Mag. Rozsenich (vormals Frau Márkos [vormals Monsieur O])
Künstlert, schriftstellert und restauriert (zumindest laut Statistik Austria).